Inhaltsverzeichnis

Die vielen Leben des Harry August

von Claire North

★★★★☆ / gelesen von 2024-01-30 bis 2024-03-03
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Spoiler?

Ich versuche hier einen spoilerfreie Rückblick auf das Buch zu werfen; deshalb verzichte ich darauf Namen von Figuren zu erwähnen; eine grobe Inhaltsbeschreibung lässt sich jedoch nicht vermeiden. Wenn du die nicht wissen willst, sondern dich nur fragst, ob du dass Buch lesen sollst: lies das Buch, ich fand es unterhaltsam und die Geschichte ist ein gut geschriebener Thriller mit Science Fiction Elementen, die jedoch eher in den Hintergrund treten.

Eindrücke

Eine Zeitreise-Geschichte, nur ganz anders.
Eine Geschichte mit Unsterblichen, nur ganz anders.

Das Buch erzählt die mehrere Generationen umspannenden Abenteuer von Harry August, eines Mannes, der 1919 geboren wird, lebt, stirbt und erneut 1919 geboren wird. Was ihn dabei auszeichnet: er erinnert sich an alles, was er in seinen vorherigen Leben erlebt hat.

Ich würde einmal forsch behaupten, in der grundlegenden Idee lässt sich North von Ken Grimwoods Das zweite Spiel inspirieren. Hier wie da stirbt der Hauptcharakter und steigt erneut in sein bekanntes Leben ein. Hier wie da trifft der Protagonist irgendwann auf jemanden, der eine ähnliche Erfahrung durchmacht.
Während in Grimwoods Klassiker von 1986 allerdings die Abstände zwischen Tod und „Wiedererwachen“ kürzer werden und sich schließlich „überholen“, lässt North ihre „Zeitreisenden“ immer wieder bei der Geburt einsteigen und ein Leben leben, dass je nach Medizin und Lebensweise mal kürzer oder länger ist.

Zudem trifft Harry August nicht nur einen, der ihm gleich ist - aber einen, der sein bester Freund und tiefster Feind zugleich wird.

Die Untersterblichen nennt North „Kalachakra“.

Es gibt noch andere wie ihn, über viele Generationen hinweg. Unter uns „Normal-Sterblichen“. North versucht erst überhaupt nicht, zu erklären, wie ihr Konzept funktioniert - Multiversen? Zeitschleifen (was nicht sein kann, da man sich auch Generationenübergreifend Nachrichten schickt). Und das ist gut. Denn genau dieses „Warum“ ist, was Harry Augusts Freund-Feind zeit seines unendlich scheinenden Lebens herauszufinden versucht. Darum entspinnt sich dann eine mehrere Leben übergreifende Jagd aus Wahrheiten, Täuschungen und tiefer Verbundenheit und Freundschaft.

Mich hat das Buch nicht direkt auf den ersten Seiten gefangen.
Das lag vor allem ein wenig am Schreibstil Norths, die hier glaube ich jedoch ein Stilmittel ist - denn das ganze Buch ist die von Harry August geschrieben, der hier seine Lebensgeschichte erzählt.
Am Ende aber gewöhnt man sich rasch an die etwas „steifere“ Erzählart und die 500 Seiten sind sehr kurzweilig, auch weil der Konflikt und das Spiel von Harry nach einem langsam Anlauf und der Suche dann ab dem 1/3 ordentlich an Fahrt aufnimmt und man recht atemlos folgt.

Insgesamt ein wirklich gelungenes Buch mit einem frischen Ansatz von Zeitreise / Unsterblichen Geschichten. Auch, wenn ich Ken Grimwoods „Replay: Das zweite Spiel“ vorher gelesen habe, hat mich North mit ihrer Geschichte zu keiner Zeit gelangweilt oder ein „das kenne ich doch?“ aufkommen lassen. Im Gegenteil, Abends schläft man dann durchaus ein und fragt sich, an welchen Schrauben man vielleicht im eigenen Leben drehen würde, welche Uni man besuchen oder welche Menschen man nochmal anders oder überhaupt nicht kennenlernen wollte …

Frage:
Wieso aus den „First Fifteen Lives“ des Harry August im deutschen Titel plötzlich „viele“ werden bleibt ein Rätsel. „Zum Glück“ für Lübbe ist eine Fortsetzung noch nicht in Sicht - und vielleicht ist es auch gut. Denn auf der einen Seite könnte ich mir durchaus vorstellen, ins Leben von Harry zurückzukehren, auf der anderen Stelle ist natürlich die Frage: was kann dieses Abenteuer hier noch topen?

Mich würde übrigens nicht wundern, wenn wir den Roman bald als Mini-Serie verfilmt sehen.

Zitate

»Im Normalfall ist das Einzige, was wir mit Zeit anzufangen wissen, sie zu vergeuden.«

Die Seele stirbt an tausend kleinen Wunden, und die fallenden Himmel sind nur das Gelächter des Henkers, der seine Arbeit tut.

Ist Unwissenheit Unschuld? Und wenn ja: Tolerieren wir andere wegen ihrer Unschuld?

Wenn man Pietrok-111 [einen Ort] mit einem alten Gaul vergleichen will, war Pietrok-112 die Leimfabrik, wo dieser alte Gaul geschlachtet wurde.

»Vergangenes ist vergangen. Du lebst jetzt. Nur das ist wichtig. Du musst dich erinnern, denn das macht dich zu dem, der du bist, aber weil es dich zu dem macht, der du bist, darfst du es niemals bedauern. Deine Vergangenheit bedauern heißt, deine Seele bedauern. […] Auch dieser Augenblick ist vergangen, der Moment, in dem ich zu dir gesprochen habe. Er ist tot. Lass ihn sterben.«

»›C’est la vie‹.«
»Das heißt?«
»Es hat keinen Zweck, sich gegen das Unausweichliche aufzulehnen. Frei übersetzt. Man lebt und dann nicht mehr, also weshalb sich aufregen? Seine Mitmenschen nicht verletzen, Gästen kein Essen auftischen, von dem ihnen schlecht wird, ehrenhaft sein in Wort und Tat – was gibt es sonst noch? Sei einfach ein anständiger Mensch in einer anständigen Welt.«
»Jeder ist ein anständiger Mensch«, bemerkte sie leise, »in seinen eigenen Augen.«

»Die Menschen müssen in erster Linie anständig sein und dann erst genial, andernfalls sind sie nur Sklaven der Maschine.«
»Das ist kein sehr kommunistischer Standpunkt.«
»Irrtum, das ist der kommunistische Standpunkt. Der Kommunismus braucht gute Menschen, die auf ihr Herz hören und nicht nur auf ihren Verstand.«
[…]
»Das ist, was uns am meisten fehlt in der heutigen Zeit. Wir haben dem Fortschritt unsere Seele geopfert und sind für alles andere blind geworden.«

Mir fiel dazu die alte Weisheit ein, dass einer Diktatur nichts förderlicher ist als die Untätigkeit guter Menschen.

»Die Menschheit hat gelernt, gelernt, mit dem Werkzeug der Natur zu schnitzen, doch wie ein blinder Künstler sieht sie nicht, was sie erschafft.«

Klappentext

MANCHMAL IST EIN LEBEN NICHT GENUG, UM DIE WELT ZU RETTEN! Harry August stirbt. Mal wieder. Es ist das elfte Mal, dass Harrys Leben ein Ende findet. Und er weiß genau, wie es weitergehen wird: Er wird erneut im Jahr 1919 geboren werden ― mit all dem Wissen seiner vorherigen Leben. Harry hat akzeptiert, dass er in dieser Zeitschleife festhängt, auch wenn er nicht weiß, wieso … Doch dann steht plötzlich ein junges Mädchen an seinem Sterbebett und überbringt ihm eine erschütternde Botschaft: Der Untergang der Welt steht bevor! Und das auslösende Ereignis findet vermutlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt. Harry, der bald wieder im Jahr 1919 sein wird, muss nun nicht weniger tun, als diese Zukunft zu verhindern …

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