von Nele Pollatschek
★★★☆☆ / gelesen 2023-12-20 bis 2024-01-03
Amazon
Kleine Probleme, große Fragen.
Nele Pollatschek hat mit ihrem zweiten Roman „Kleine Probleme“ einen Bestseller geschrieben, der viele Leserinnen und Leser anspricht. Der Protagonist Lars ist ein neunundvierzigjähriger Vieldenker und angehender Schriftsteller, der sein Leben aufräumen will, bevor das neue Jahr beginnt. Doch statt seine To-do-Liste abzuarbeiten, verliert er sich in Gedanken, Erinnerungen und Selbstzweifeln. Er prokrastiniert, schiebt alles auf später und muss am Ende erkennen, dass er an seinen eigenen Ansprüchen gescheitert ist.
Als Journalist für eine kleine Zeitung kann ich mich gut mit Lars identifizieren. Auch ich kenne das Gefühl, immer mehr zu wollen, als ich schaffen kann. Auch ich habe oft das Bedürfnis, mein Leben zu ordnen, bevor ich mich an mein Lebenswerk wage. Und auch ich frage mich manchmal, ob ich nicht zu viel Zeit mit Nebensächlichkeiten vergeude, statt mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Pollatschek erzählt Lars' Geschichte mit viel Humor, Tragik und Philosophie. Sie nimmt uns mit in sein chaotisches Haus, seine komplizierte Familie und seine unerfüllten Träume. Sie zeigt uns, wie er sich mit perfekten Kindern und unperfekten Eltern, mit Liebe, kleinen Schrauben und großen Werken auseinandersetzt. Sie lässt uns an seinen Gedankensprüngen, seinen Selbstgesprächen und seinen inneren Konflikten teilhaben. Sie konfrontiert uns mit seinen kleinen Problemen, die zugleich große Fragen sind: Was ist wichtig im Leben? Was macht uns glücklich? Was ist unser Sinn?
„Kleine Probleme“ ist ein Roman, der mitten ins Herz unserer Existenz trifft. Er ist eine alltägliche Geschichte, die uns mit unseren eigenen Schwächen und Fehlern liebevoll quält. Er ist eine Herausforderung, die sich absolut lohnt. Er ist ein Buch, das uns lehrt, unser Leben nicht auf später zu verschieben.
Der Schreibstil von Pollatschek ist spritzig, witzig und klug. Sie schreibt in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Lars, der uns seine Gedanken und Gefühle direkt und unverblümt mitteilt. Sie verwendet viele Anspielungen, Zitate und Metaphern, die auf Lars’ Bildung und Kulturverständnis hinweisen. Sie spielt mit Sprachwitz, Ironie und Sarkasmus, um Lars’ Humor und Selbstkritik zu zeigen. Sie wechselt zwischen Gegenwart und Vergangenheit, um Lars’ Erinnerungen und Erlebnisse zu verknüpfen. Sie schafft einen lebendigen, authentischen und unterhaltsamen Ton, der den Leser fesselt und zum Nachdenken anregt.
Lars, neunundvierzigjähriger Vieldenker und angehender Schriftsteller und notorischer Aufschieber. Dummerweise kenne ich die Art von Aufschiebertum, die Lars an den Tag legt, nur zu Gut.
Pollatschek schreibt in einer ausuferenden Abfolge von Gedanken über die kleinen Aufgaben, die Lars an dem einen Tag, den wir ihn begleiten. Gedanken, Geiseltum, Philosophisches. Wie gesagt: dummerweise ertappe ich mich bei dem ein oder anderen tatsächlich, es selbst zu denken, sehen - oder nicht zu sehen.
In meinem Kopf liest mir das Buch außerdem Bjarne Mädel in seiner Art und Weise, die er im Tatortreiniger an den Tag legt, vor. Oder Tommy Wosch. Keine Ahnung wieso. Aber es ist diese Mischung aus Egal und Selbstrechtfertigung gemischt mit ein paar philosophischen Gedanken.
Das Buch ist kurz. Ob es kurzweilig ist - keine Ahnung. Die Sätze sind manchmal Fetzen, manchmal Bandwurm. Es ist nicht schwer lesbar. Mittelmäßig verdaubar. Unterhaltend vom Selbstschmerz der Figur, und doch auch irgendwie tragisch.
Das Wetter in der Erinnerung ist wie die Musik beim Film, wird alles im Schnitt druntergelegt. Wenn man glücklich war, dann schien die Sonne, und wenn Herzen brachen, dann peitschte der Regen, dann Blitze und Donnerkrachen, und wenn man, naja, dann nieselte es eben.
Ich weiß, dass ich nichts habe, das müssen mir die Kinder nicht immer sagen, kein Sexismus oder so strukturellen Rassismus, keine Behinderung, keine schwere Krankheit und selbst an guten Tagen höchstens eine mittelschwere Depression. Nicht mal ein Alkoholproblem, obwohl ich es wirklich versucht habe. Wie erbärmlich, dass man es nicht mal schafft, Alkoholiker zu werden, um dann wenigstens noch trockener Alkoholiker werden zu können.
Man kann sich das Leben nehmen oder man kann jemandem das Leben schenken, aber beides geht nicht.
Bedingungslose Liebe ist einfach, Zahnarzttermine sind schwer. Das Rezept für die Brille und diese komischen Einaugenpflaster abzuholen ist schwer. Die Antibiotika gegen die Mittelohrentzündung wirklich jeden verdammten Morgen zu geben. Die Wäsche nicht in der Maschine vergammeln zu lassen, donnerstags an den Turnbeutel zu denken, sich daran zu erinnern, dass doch dieses Halbjahr Schwimmunterricht ist, das Kind zum Reiten zu fahren und es um Gottes willen danach wieder abzuholen, das Kind nicht immer irgendwo stehen zu lassen, nicht immer irgendwas zu vergessen, das alles zu kontrollieren, als wäre man Familienvater und nicht nur irgendein Komparse, der sich in diese Rolle verirrt hat und jetzt so tun muss, als wäre sie für ihn geschrieben. Nicht immer versagen, nicht immer enttäuschen, sich nicht immer entschuldigen müssen, die Schuld nie wirklich loswerden, immer versprechen, dass jetzt alles anders wird, und dann wird es anders, aber anders ist dann doch nur wieder schlimmer. Das ist schwer. Das ist beschissen schwer.
Überall heißt es, man solle toxische Beziehungen beenden, aber wie ich mich von mir selbst trenne, das hat mir wirklich noch keiner erklärt.
Vielleicht kann ich deshalb nicht schreiben, weil mir das nötige Trauma fehlt. Aber eigentlich hat Alfred das schon ziemlich gut gemacht, und das sage ich nicht nur, weil man seinen Eltern ja wirklich gar nichts mehr vorwerfen kann, sobald man selber Kinder hat.